Mal wieder ist früh Aufstehen angesagt. Denn heute hatten wir einen anstrengenden und langen Tag vor uns. Es heißt, dass man spätestens um 10:00 Uhr die Tageswanderung hinauf zum Cerro Castillo beginnen soll. Das ist die Attraktion schlechthin im Süden Chiles. Dieser Berg ist bekannt für seine schlossartige Gipfelformation und erklärt somit auch selbst seinen Namen. Der Cerro Castillo liegt jedoch nicht am Rand von der Stadt Coyhaique, sondern 1,5 Stunden weiter südlich direkt neben dem gleichnamigen Dorf “Villa Cerro Castillo”. Deswegen auch das frühe Weckerklingeln. Während sich der Himmel in Coyhaique zuzog, entflohen wir den schlechten Wetter in den Sonnenschein. Die Autofahrt an sich war alleine schon ein Highlight des Tages. Kaum waren wir wenige Kilometer aus Coyhaique draußen, änderte sich die Landschaft mal wieder abrupt. Aber so anders wie heute hatte sie sich noch nie gezeigt. Auf der Fahrt nach Villa Cerro Castillo konnte man nun echt gut erkennen, dass Herbst ist: die Bäume sind alle rot, orange, braun und grün; heftige Windböen pfeifen durch die Täler und die Sonnenstrahlen sind weniger intensiv. Von Tag zu Tag verliebe ich mich immer mehr in Chile. Dieses Land hat so viele verschiedene Seiten und Ecken zu bieten die man alle gar nicht auf einmal erkunden kann. Hier vergisst man komplett, dass noch eine andere Welt da draußen existiert. So verhalten sich auch die ganzen Einheimischen. Sie sind extrem freundlich und immer hilfsbereit. Je weiter man in den Süden kommt, umso offener und liebenswürdiger werden die Menschen. Den Grund dafür erklärte mir letztens unser Reiterguide in Futaleufú: Die Menschen im Süden waren schon immer mehr voneinander abhängig. Oft war es früher aufgrund der Wetterbedingungen nicht möglich Lebensmittel und andere Waren aus Puerto Montt in den Süden zu schippern. So mussten die Einwohner teilweise Wochen beziehungsweise Monate ohne neue Lieferung auskommen. Manche konnten sich jedoch die Reise nach Argentinien leisten, um dort ihre Vorräte aufzufüllen. So sorgten jene für die ärmeren Bewohner die sich diesen Ausflug ins Nachbarland nicht leisten konnten. Dementsprechend hat sich die Mentalität im Süden etwas anders als die im Norden entwickelt. Jetzt aber erstmal genug zu den Einwohnern und zurück zum Tagestrek. Also wir kamen pünktlichst in dem kleinen Dorf an, füllten unsere Essenvorräte für die Wanderung auf und nutzen gleich die Chance den Verkäufer nach dem Weg zum Wanderungsbeginn zu fragen. Der Mann war so lieb und bereit die Wegbeschreibung im Sand aufzumalen, da ich irgendwie zu doof war ihn mir zu merken. Der Berg lag zum Glück nur wenige Meter vom Dorf entfernt in der Bergkette, aber trotzdem brauchten wir ein Weilchen bis wir den Ausgangspunkt mit dem Wartehäuschen gefunden hatten. Wir sind wohl erstmal ein bisschen zu weit auf der Bumpyroad gefahren. Nach einer schweren Überquerung einer Art Flusses haben wir uns dann doch dazu entschieden umzukehren und noch einmal das besagte Wartehäuschen weiter am Anfang der Offroad zu suchen. Tja, und was fanden wir da? Na das gesuchte Holzhäuslein. Das war nur leider noch nicht alles. Weit und breit war keine Menschseele zu entdecken und an der Hütte hing ein Papierschild mit der Aufschrift: “Cerrado, a causa del clima y del sendero inestable” (= “Geschlossen, wegen der Wetterverhältnisse und des unstabilen Wanderweges”). Oh man, jetzt waren wir bis hierunter gefahren nur, um vor einem verschlossenen Gatter stehen zu müssen? Ich wollte doch unbedingt auf den Cerro Castillo. Vor allem, da ich die Landschaft hier so hammar finde. Von oben würde sie bestimmt noch viel beeindruckender wirkten. Aber was man nicht ändern kann, lässt sich nun mal nicht ändern. Hier konnte man bestimmt auch noch andere gute Sachen in der Natur machen. Wie zum Beispiel Reiten. Kaum hatte ich so ein Schild dafür entdeckt, hielten wir das Auto an und ich fragte nach. Der Mann dort meinte jedoch nur, das er keine Pferde besitze. Das war ja mal wieder klar. Ein Schild für nichts. Er schickte uns aber zu einem anderen Ort direkt gegenüber. Das war ein Hostel beziehungsweise eine Campsite. Aha, die boten also auch angeblich Ausritte an. Dort wurden wir jedoch auch enttäuscht. Also nix mit Pferden. Dafür kam es besser. Ich erzählte der jungen Inhaberin, die übrigens Amerikanerin war, unsere Leidensgeschichte von dem geschlossenen Pfad. Daraufhin war sie total verdutzt, denn angeblich sei der nur bei extremen Wetterbedingungen wie Schnee geschlossen und nicht nur wegen ein bisschen stärkerem Wind. Da sie die Besitzerin des Holzhäuschens persönlich sehr gut kannte, rief sie für uns bei dieser an, um mal genauer nachzuhaken was da denn los sei. Denn manchmal hätte sie einfach nur keine Lust sich in das Häuschen zu setzten und stellte deswegen solche Schilder auf. Und das war auch diesmal der Fall. Die Amerikanerin meinte nur ganz locker wir sollten über die Zaun klettern. Auch gut. So sparten wir uns die 5000 Pesos Eintritt pro Person und konnten doch noch in den Park und rauf zum Berg. Yesssss. Im Hinblick auf die Dauer der Besteigung hatten wir absolut keinen blassen Schimmer. Jeder sagte etwas anderes. Die Hostelinhaberin war für 5 Stunden, der Kioskmensch für 6, das Schild am Holzhäuschen für 7-8 Stunden und eine weitere Ausschreibung für 8-10 Stunden. Meine beiden Reiseführer äußerten sich zu dem Thema überhaupt nicht. Bei diesen schwankenden Zahlen hielten die sich lieber außen vor. Also rechneten wir mal sicherhaltshalber mit einer langen Wanderung. Und das war sie auch wirklich. Wir brauchten am Ende mit Pausen ganze 6 Stunden. Das war hier die längste und mit Abstand anstrengendste Unternehmung in Chile.
Zuerst ging der Pfad durch einen Wald und das noch relativ flach. Kaum hatten wir den Weg begonnen hörten wir schon Schritte hinter uns. Ein Mädchen Mitte 20 und zwei Jungs ein bisschen älter sind wohl auch über den Zaun geklettert. Der Weg ging durch grüne kniehohe Wiesen, lavendelartige Felder, Matscheinlagen, rot-orangene Baumwälder und Steinfelder. Unterwegs trafen wir noch zwei weitere Backpacker die aber schon seit zwei beziehungsweise drei Tagen mit Zelt in dem Naturreservat unterwegs sind. Hier gibt es nämlich auch längere Touren. Laut ihrer Auskünfte war das Tor auch schon geschlossen als sie ihre Tour angefangen hatten. Das Schild am Holzhäusern zu missachten ist hier wohl Gang und Gebe. Der Pfad durch die verschiedenen Landschaftsformen war echt unglaublich. Ich habe bestimmt mindestens 300 Fotos davon gemacht. Die letzte Stunde war die anstrengendste. Vor allem da sich langsam mal wieder mein Knie beschwerte. Den letzten Abschnitt ging es steil bergauf durch Gestein bis hin zum Gletscher, beziehungsweise dem Zielort der Lagune des Cerro Castillos. Dort oben wirkte alles wie eine Mondlandschaft. Wasserlöcher gab es hier und da zwischen den ganzen hellen Gesteinen und dem Sand dazwischen. Der Anblick des Gipfels mit der Lagune des Cerro Castillos verschlug mir echt die Sprache. Der lange Weg hatte sich aber so was von gelohnt. Ich wusste gar nicht, dass der Berg einen Gletscher hat, aber anscheinend schon. Jetzt waren wir wirklich extrem nah an ihm dran. Ein Nachteil hatte das Ganze nur: es war unfassbar kalt. Ich bin generell schon eine Frierkattel, aber das da oben topte absolut alles. Trotz Handschuhe konnte ich meine Hände nach ein paar Minuten nicht mehr bewegen. Plötzlich fing es sogar an ein bisschen zu schneien. Wir versuchten uns mit Nüssen und Rosinen zu stärken, jedoch war das bei der Kälte fast unmöglich. Nach einer halben Stunde konnten meine Fließ- und Regenjacke die Kälte nicht mehr abhalten, so dass wir uns langsam auf den Rückweg machten. Das chilenische Mädchen, Karina, drehte mit uns um. Die Jugs waren irgendwie verschwunden. Wir glaubten, dass sie versuchten, um den Berg herumzuwandern. Denn so konnte man noch weiter runter an die Lagune kommen. Uns reichte aber der Blick von ein paar Metern weiter oben. Es war echt schwer sich von dem Berggipfel und seinem Gletscher zu trennen. Aber nach einem weiterem Bild mit dem Einhorn war es echt genug. Die Kälte und der eisige Wind siegten. Ich genoss jedoch nochmal den genialen Ausblick auf die weite Landschaft. Das Dorf Villa Cerro Castillo wirkte so winzig und die Anden nahmen mal wieder den ganzen Horizont ein. Der Abstieg ging wie immer schneller, auch wenn er eher weniger günstig für mein Knie war. Dafür konnte ich nochmal über die wunderschöne Herbstlandschaft staunen. Wie bereits erwähnt, nach ganzen 6 Stunden erreichten wir wieder ebenen Boden. Das war mit Abstand die beste aller Wanderungen gewesen. Sie ging nämlich nicht nur zackig zum Zielort und das nur steil bergauf, sondern hier war mitunter der Weg das Ziel und das auch mal mit etwas flacheren Abschnitten unterwegs.
Unten angekommen, machten wir uns erstmal auf die Suche nach einer Unterkunft. Aufgrund der beginnenden Nebensaison ist es nämlich eigentlich nicht so ein großes Problem spontan ein Zimmer zu finden. Wir fragten uns ein bisschen durch und schauten verschiedene Zimmer an. So lernten wir wenigstens noch das süße Dörfchen kennen. Das ist echt hübsch und total niedlich. Wenn auch mal wieder sehr klein. Mit seinen bunten Häuschen und den umliegenden Anden gewinnt es unheimlich an Charme. Eine Unterkunft war zwar extrem billig, aber so unfassbar widerlich, dass man sich gar nicht in das Bett legen möchte. So ein verstaubtes und unsauberes Zimmer habe ich selten erlebt. Der Vermieter passte jedoch auch sehr gut zu seinen angebotenen Räumen. Schlussendlich fanden wir ein niedliches Zimmer sogar mit Privatbad, und das richtig günstig. Zwar ohne Frühstück, aber das kann man sich ja im Kiosk besorgen. Nur leider gibt es hier fast kein WLAN. Aber das halte ich für eine Nacht glaube ich auch mal aus. Dafür gibt es aber einen Ofen, den der liebe Besitzer extra für uns angemacht hat. So konnten wir endlich mal unsere Wäsche waschen, was dringend nötig war, und schön vor den Ofen hängen. So jetzt habe ich bald wieder frische Klamotten, eine wunderbare Aussicht.